Der Landesverband informiert
Sehr geehrte Damen und Herren,
in einem aktuellen Urteil hat das Landgericht (LG) Oldenburg zur Frage der Erstattungspflicht der Kaskoversicherung bei Entwendung des Kundenschlüssels aus einem Werkstattbriefkasten sinngemäß folgendes entschieden:
Konnte ein Versicherungsnehmer (VN) davon ausgehen, dass ein Werkstatt-Briefkasten ausreichend gesichert ist und wirft er dort seinen Autoschlüssel ein, dann muss ihn der Kaskoversicherer ungekürzt entschädigen, wenn das Fahrzeug anschließend gestohlen wird.
1.Sachverhalt
Das Fahrzeug des klagenden Versicherungsnehmers war bei der beklagten Kaskoversicherung versichert. Dieses Fahrzeug hat dieser an einem Sonntag wegen einer beabsichtigten Reparatur auf dem Parkplatz der betreffenden Werkstatt abgestellt und den Schlüssel in den Briefkasten des Autohauses eingeworfen. Am nächsten Montagmorgen stand das Fahrzeug dann schon nicht (mehr) auf dem Gelände der Werkstatt. Der Briefkasten der Werkstatt ist dabei fest in die Fassade integriert und befindet sich im direkten Eingangsbereich des Autohauses. Der stabil und sicher aussehende Briefkasten selbst wirkt von außen so, als ob die oben eingeworfenen Teile so tief nach unten fallen, dass man sie von außen nicht mehr herausholen kann. Da die beklagte Versicherung den Schlüsseleinwurf in den Briefkasten als eine Mitverschulden auslösende, grobe Fahrlässigkeit eingestuft und deshalb 9.146,34 € nicht ausgezahlt hat, beschritt der Kläger den gerichtlichen Weg vor das LG Oldenburg.
2.Begründung des Gerichts
Das LG Oldenburg hat entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Auszahlung der restlichen 9.146,34 € hat, da keine Obliegenheitsverletzung des Klägers vorlag - und damit auch keine Leistungsfreiheit der beklagten Haftpflichtversicherung.
Zwar sei ein Versicherer nach § 28 Abs. 2 VVG im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Allerdings liege hier keine grobe Fahrlässigkeit vor. Denn es sei im zu beurteilenden Fall nicht grob fahrlässig gewesen, den in einem Schlüsseletui versteckten Schlüssel in den betreffenden Briefkasten des Autohauses einzuwerfen.
Es sei zwar anerkannt, dass das Einwerfen eines Schlüssels in den Briefkasten eines Autohauses den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllen kann. Dieser Grundsatz gelte aber nicht uneingeschränkt, da es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Erst wenn eindeutig klar sei, dass ein Schlüssel im konkreten Einzelfall leicht wieder aus dem Briefkasten herausgezogen werden kann, käme es zu einer groben Fahrlässigkeit. Das gleiche gelte, wenn sonstige äußere Umstände den Verdacht erhärten, dass der eingeworfene Schlüssel im Briefkasten nicht sicher und dem Zugriff Dritter leicht ausgesetzt ist.
Solche Umstände lägen hier jedoch nicht vor. Denn der Briefkasten befinde sich im direkten, zurückgesetzt hinter den Schaufenstern der Ausstellung liegenden Eingangsbereich des Autohauses. Diese beschriebenen, beleuchteten Örtlichkeiten erweckten den Eindruck, als befände sich der Briefkasten in einem geschützten Bereich. Zudem wirke der stabil und sicher aussehende Briefkasten von außen so, als fielen die oben eingeworfenen Teile soweit nach unten, dass man diese von außen nicht wieder herausholen kann.
Bei diesem äußeren Bild hätten dem Kläger keine Zweifel kommen müssen, dass der Schlüssel von Unbefugten wieder aus dem Briefkasten entnommen werden könnte. Mit dem Vergewissern, das der Schlüssel bis auf den Boden des Briefkastens heruntergefallen ist, habe der Kläger nur die Sicherheit des Schlüssels vor unbefugtem Zugriff sicherstellen wollen. Auch sei hier nicht ersichtlich, dass es früher schon zu einem vergleichbaren Entwendungsfall bei der Werkstatt gekommen ist und der Kläger davon Kenntnis hatte. Da es schon an der groben Fahrlässigkeit fehle, sei unerheblich, ob der Schlüsseleinwurf am Sonntag in Absprache mit dem Autohaus erfolgte.
3. Fazit
Immer wieder kommt es vor, dass Kundenfahrzeuge nach dem Einwurf des Fahrzeugschlüssels in den (Nacht-) Briefkasten eines Autohauses entwendet werden. Schnell stellt sich hier die Frage, ob die (Kasko-)Versicherung des Fahrzeughalters oder die Versicherung des Autohauses für den Schaden aufkommen bzw. die volle Schadenssumme auszuzahlen ist.
Das LG Oldenburg hat diesbezüglich die Feststellung getroffen, dass nicht jeder Schlüsseleinwurf in den Briefkasten eines Autohauses den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit und damit die Herabsetzung des Ersatzanspruchs rechtfertigt. Vielmehr kommt es darauf an, ob dem Kunden nach dem äußeren Erscheinungsbild im Einzelfall Zweifel aufkommen müssen, dass der Schlüssel von Unbefugten wieder aus dem Briefkasten entnommen werden könnte.
Sollten sich Versicherungen in vergleichbaren Fällen weigern, den Schaden vollständig zu begleichen, gilt es den Sachverhalt genau unter die Lupe zu nehmen. Ist die für den Kunden eine Unsicherheit des Briefkastens nicht zu erkennen, sollte mit Verweis auf das LG Oldenburg auf den vollen Schadensausgleich gedrängt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Viviane v. Aretin
Geschäftsführerin